Stanislaw Chomicki
01. April - 01. Mai 2017

 

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Text von Prof. Gregor Krisztian
Stanislaw Chomicki
Panta rhei. Doch im Strom der Zeit gibt es Punkte an denen alle Bewegung irgendwann zum Stillstand kommt. Dinge entstehen, haben ihre Lebenszeit und kommen auch wieder zum Ende, um dem Danach Platz zu machen, neue Bewegung auszulösen. Der Kreislauf schließt sich. „Jedem Ende wohnt ein Anfang inne“ erkannte schon Hermann Hesse. Dieser Gedanke legt sich auch über die leisen Bildmotive von Stanislaw Chomicki. Umso mehr, als es zur Aufnahmeseiner stillen Protagonisten eine Technik verwendet, die wir längst vergessen haben – und gerade deshalb heute ihren eigenen Reiz entwickelt: Pinhole oder das fotografieren mit einer Lochkamera.

Die Vorliegenden Seiten richten zum einen den Blick nach hinten – verklärt, melancholisch, bedauernd, kritisierend oder auch konstatierend – und bannen mittels überholter Aufnahmetechnik Objekte auf Film, die ihre Zeit hatten und die nur Relikte einer vergangenen Perspektive sind. Die Ästhetik der Aufnahmen lenkt scheinbar vom Inhalt des sichtbaren ab, führt dann aber zum Reflektieren über das gezeigte und zwingt zum Überdenken.

Dem vorgreifend treten formulierte Gedanken und Textfragmente in Interaktion mit den Motiven und zielen auf den entgegengesetzten Blick. Die Perspektive kehrt sich um und wird zum Ausgangspunkt des Nachvorne-Blickens. Das Buch spielt mit unterschiedlichen Wertigkeiten und Rollen von Bild und Wort und überlässt dem Betrachter jede weitere, individuell geprägte Entscheidung. Fotografie und Gedankenform zwingen zum Nachdenken, zum Zustimmen wie auch zum Widersprächen. Die Ästhetik der festgehaltenen Momente bleibt davon unberührt...

 

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Das Prinzip »Langsamkeit«
Die Lochkamera ist ein einfaches fotografisches Gerät und besteht aus einer simplen Box mit einem Loch, durch das das Bildmotiv von außen auf das Filmmaterial innen fällt. Das kopfstehende Bild wird durch eine winzig kleine Öffnung in der Vorderseite des Kameragehäuses erzeugt. Die Kamera muss dabei nicht mehr als ein schwarz gestrichener Kasten sein. Weil das Loch meist mit einer Nähnadel in eine dünne Metallfolie gestochen wurde, wird hierfür auch der englische Terminus »pinhole camera« benutzt.

Im Vergleich zu Aufnahmen mit einer fokussierenden Kamera sind die Bilder, die mit einer Lochkamera aufgenommen werden, unschärfer. Dabei darf das Loch einen bestimmten Durchmesser nicht unterschreiten. Die Tiefenschärfe dagegen erstreckt sich über das gesamte Motiv, unabhängig von der Entfernung zum aufgenommenen Objekt. Dazu kommen leichte Überstrahlungen, die den Lochbild-Aufnahmen ihren etwas geheimnisvollen Charakter verleihen. Da es sich hier um ein Aufnahmegerät ohne Linsen handelt, treten keine optischen Fehler wie Verzeichnung und Chromatische Aberration auf.

Schon Aristoteles erkannte das Prinzip im 4. Jahrhundert vor Christus. Die ersten Versuche mit einer Lochkamera hat der Araber Alhazen bereits um 980 angestellt. Ab Ende des 13. Jahrhunderts hat man die »Camera Obscura« zum Beobachten von Sonnenflecken und Sonnenfinsternissen benutzt. Auch Leonardo da Vinci beschäftige sich mit dem Strahlengang und stellte fest, dass beim Auge das gleiche Prinzip wie in einer Lochkamera gilt.

Im Mittelalter gelang es Linsen aus Glas zu schleifen, die man bei der Camera Obscura einsetzen konnte. Vor der Fotografie wurden diese transportablen Geräte mit einem Umlenkspiegel auch von Malern gerne als Zeichenhilfe genutzt. Beispielhaft ist hier Canaletto mit seinen Gemälden von Dresden und Warschau. Mit der Erfindung lichtempfindlicher Materialien begann man, die erzeugten Bilder festzuhalten. Die Fotografie war geboren; der Augenblick ließ sich festhalten.

Im Laufe der Jahre wurden immer bessere Aufnahmegeräte entwickelt. Die ersten Großformatkameras waren mit hervorragenden Objektiven ausgestattet und lieferten beste Bildqualität. Durch die Erfindung der Kleinbildkamera und die Steigerung der Filmempfindlichkeit veränderte sich die Fotografie maßgeblich: nun galt es, den richtigen Moment zum Gelingen der Aufnahmen zu finden. Die neuesten Kameras erlauben Aufnahmen von mehreren Bildern pro Sekunde mit eine Detailwiedergabe, die auf Filmmaterial in gleichem Aufnahmeformat nie möglich war. Computer und externe Festplatten liefern ausreichend Speicherplatz, um immer mehr Bilder in noch besserer Qualität zu archivieren. Fotos werden heute meist sehr schnell gemacht – entsprechend unseren Lebensgewohnheiten. Die Bilderflut scheint unaufhaltsam, doch der kritische Blick bleibt auf der Strecke. Genau so schnell, wie sie entstehen, lassen sie sich mit einem Knopfdruck wieder entfernen.

Die individuelle Arbeit am Motiv weicht der Suche in der Masse erzeugter Bilder. Das spiegelt sich in unserer Wegwerfgesellschaft, in der nicht mehr Gebrauchtes unbedenklich und schnell entsorgt werden kann. Die Wertschätzung der eigenen Arbeit geht peu à peu verloren.

Die Lochkamera zwingt zum Überdenken unreflektierter Vorgehensweisen und konzentriert sich auf das Wesentliche sich auf das Wesentliche beim Fotografieren. Aufgrund des hohen Arbeitsaufwandes an jedem Motiv ist Quantität nicht machbar – vielmehr rückt die Qualität der Bilder durch entsprechenden Bildaufbau und Lichtführung in den Mittelpunkt. Über das Bild entscheidet nicht der „richtige Moment“, sondern die Summe von Momenten, was hierbei mehrere Minuten oder sogar geduldigfordende Stunden in Anspruch nehmen kann. Diese beiden Begriffe stehen im Widerspruch zur Schnelllebigkeit des digitalen Zeitalters. Der Modebegriff „Entschleunigung“ ist angebracht und steuert aktiv zur beruflichen wie auch der privaten Verlangsamung unseres Lebens bei. Die Lochbildfotografie wird zum künstlerischtherapeutischen Medium und verdient somit unseren stillen Respekt.
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Copyright der Fotografien by Stanislaw Chomicki © 2016

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