Heinz Oliberius
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Zeichnungen Beitr
sculptura perennis

 

 

Heinz Oliberius, leicht ist er nicht zu finden. Es beginnt bereits mit dem Ort seiner Geburt. Man benötigt schon eine Landkarte in einem großen Maßstab, um etwa rund 45 km südlich von Dresden in der heutigen Republik Tschechien seinen Geburtsort Teplitz-Schönau zu ent­decken. Als „Flüchtlingskind" kam er nach dem Zweiten Weltkrieg mit seiner Familie nach Frank­furt am Main. Glücklich nennt er in der Erinnerung die Jahre seiner Jugend: die Möglichkeit beim Bau eines neuen Hauses mitzuhelfen, eine Lehre als Steinmetz- und Ornamentbildhauer zu beginnen; er war damals 19 Jahre alt.

Nach der praktischen Lehrzeit folgten sechs weitere Studien- und Ausbildungsjahre in Frank­furt an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste und dem Städelchen Institut. Zwei Dinge waren es vor allem, die ihn während dieser Zeit prägten. Auf der einen Seite bewirkte ein ge­meinschaftliches Arbeiten mit den angehenden Architekten der Hochschule, daß in ihm neben seiner eigentlichen Bildhauertätigkeit eine Liebe zur Architektur entstanden ist, die ihn bis heute nicht verlassen hat. Zum anderen war es die Begegnung mit ähnlich gesinnten, ausländischen Studenten - er nennt einen Ägypter, einen Perser - die seinen Blick für andere Kulturberei­che des Menschen geöffnet und bei allem Selbstbewußtsein seine Toleranz begründet hat. Leicht zu finden sind die Spuren seiner damaligen künstlerischen Tätigkeit ebenfalls nicht. Auf­bewahrt hat er einige Kleinskulpturen, die den Geist des in jener Zeit so hochgeschätzten Henry Moore atmen. Darüber hinaus muß man schon die Kirche in Frankfurts Nord-West-Stadt be­suchen, um seinen „Engel“ aus dem Jahre 1964 mitsamt der von ihm gestalteten Altarwand zu sehen. Ein Jahr später hat er auch in St. Gabriel zu Duisburg die Altarwand gestaltet und 1975 trifft man ihn noch einmal auf der Ars-Sacra-Ausstellung in Köln.

Inzwischen lebte er jedoch bereits im Saarland, das jetzt seit mehrals dreißigjahren zu seiner Heimat geworden ist, mit der er sich aufrichtig verbunden fühlt. In seiner Wohnung erinnert noch heute ein Skizzenblatt mit den kräftigen Hinterbacken seiner damals von ihm gehalte­nen Pferde an die ersten Jahre im St. Wendeler Land. Leicht zu finden ist er auch hier nicht, zumal sicherlich nicht alle Saarländerwissen, wo dieses zu St. Wendel gehörende und nurauf Landstraßen zu erreichende Dorf namens Saal zu finden ist, in dem er, seine Werkstätten, seine Skulpturenwiese beheimatet sind.

Und dennoch begegnen tagtäglich Aberhunderte von Menschen den Kunstwerken von seiner Hand. Aber vielleicht sind diese zu selbstverständlich in ihre Umgebung integriert, als dass man bei ihrem Anblick jedes mal darüber nachdenkt, wer wohl der Künstler sei, der sie geschaffen hat. Zwar unübersehbar, aber dennoch unaufdringlich leben seine Werke mit und unter den Menschen.

In den Alltag der Fußgängerzone des St. Johanner Marktes in Saarbrücken muß man hinein­gehen, um zwei seiner im Rahmen eines Bildhauersymposions 1978 gestalteten Steinskulp­turen zu sehen, die mit ihren Verzahnungen, Kanten und Wellen auch ohne Signatur.

Oliberius als ihren Urheber bekunden. Auch an Schulen begegnen Lehrer, Schüler und manch­mal auch deren Eltern jeden Tag dem einen oder anderen seiner Werke. Am Max-Planck-Gymnasium in Saarlouis steht seine in Aluminium ausgeführte Plastik, am Leibniz-Gymnasium in St. Ingbert findet sich eine seiner Steinskulpturen, im Willi-Graf-Gymnasium Saarbrücken ge­stalten vier farbig gefasste Holzreliefs die Wände und schließlich zeugt vordem Haupteingang der Musikhochschule in Saarbrücken die Stahlplastik einer „Doppelharfe“, wie ich sie nennen möchte, von seinem Können.

Vom ästhetischen Standpunkt mag man es bedauern, wie oft diese beispielhaft genannten Kunst­werke zweckentfremdet werden. Als Ablage oder Sitzmöglichkeit dienen die Steine am St. Johanner Markt, als Schwarzes Brett finden die Wandplatten im Willi-Graf-Gymnasium Ver­wendung, als Klettergerüst benützen spielende Kinder die Plastik von der Musikhochschule. Dieser Sichtweise vom widerrechtlichen Umgang mit der Kunst steht die Tatsache entgegen, daß ein bedeutender Bildhauer unseres Landes Werke geschaffen hat, die von den Menschen seiner Zeit ganz selbstverständlich in ihr Alltagsleben hineingenommen worden sind. Oder darf Kunst nicht auch einer Funktion zum Vorteil gereichen, solange sie nicht zerstört wird? In etlichen Kirchen stehen die Kunstwerke von Oliberius ebenfalls im Dienst einer Funktion. Einen transzendentalen Blick in die Ewigkeit gewähren den Gläubigen die von ihm abstrakt gestalteten Fenster in der katholischen Pfarrkirche zu Kerlingen (1973), für deren Altarraum­ausstattung und Tabernakelsäule er ebenfalls verantwortlich zeichnet. In der Friedhofskapelle zu St. Wendel-Markt dringt das Licht wie ein Schimmer der Ewigkeit durch die von ihm ent­worfene Bleiverglasung, die übrigens im Kalender des Jahres 1977 der Arbeitsgemeinschaft Bil­dender Künstler abgebildet worden ist. Seine als Altartisch gestalteten Steinblöcke finden sich in den Kirchen zu Fremersdorf und Düren (1992) oder auch in Eppelborn (1995) und wi­derspiegeln in ihrer Ornamentik sei es den Rebstock der Bibel, sei es das Wasser des ewi­gen Lebens oder die Ecksäulen der ewigen Wahrheit. Sein Wegkreuz in Freisen (1982) kün­det über die Autobahn A 62 Landstuhl-Trier hinweg von christlicher Hoffnung.

Restauriert hat er auch; so die aus der Mitte des 14. Jahrhunderts stammende Madonna mit dem Gemmenring in der Pfarrkirche zu Saarlouis-Roden, und die Gestaltung der entspre­chenden Seitenkapelle hat er gleich mitübernommen. Gelehrt hat er auch; so am Willi-Graf- Gymnasium in Saarbrücken, an der Sommerakademie in Luxemburg, an der Fachhochschule in Saarbrücken. Ausgestellt hat er auch; so beispielsweise mit Marmorskulpturen bei der „Kunst­situation Saar“ in Marl 1982, so mit Zeichnungen bei der Ausstellung „Die andere Seite" im Saarländischen Künstlerhaus. Im Museum ist er auch; so in der Sammlung „Skulptur und Pla­stik“ der Modernen Galerie des Saarland Museums mit einer „Steinwinklung“ genannten Ar­beit in Marmor. In der von Kornbrust initiierten „Straße der Skulpturen" ist er im Ortskern von Bosen mit einer unbetitelten Skulptur aus gelbem Sandstein (1986) vertreten.

Oliberius PortWenn ich den bisherigen Text überlese, verspüre ich in Herz und Kopf ein leises Gefühl der Unzufriedenheit, des Unbefriedigtseins. Die ganze, wenn auch lückenhafte Aufzählung von Lebensstationen, von den vielfältigen und verschiedenartigen Arbeitsbereichen, vom Lernen und Lehren des Menschen Oliberius fügt sich zwar zu einer 60jährigen Lebensgeschichte zu­sammen, jedoch der Künstler Oliberius ist für mich immer noch nur schemenhaft erkennbar. Ich erinnere mich an den Satz von ihm: „Da ich von der Figur herkomme, die mich in ihrem statischen und architektonischen Aufbau bewegt, versuche ich, mich in diesem Sinn auszu­drücken.“ - und ich suche weiter nach einer Antwort auf meine Frage: Ist er „nur“ ein Bild­hauer, oder ist er ein Künstler?

Für mich persönlich habe ich eine Antwort gefunden. Dabei weiß ich nicht, ob sie für Olibe­rius als Einzelperson oder für die Allgemeinheit der Betrachter seiner Werke Gültigkeit hat. Dementsprechend sind die folgenden Aussagen sehr subjektiv geprägt.

Es war notwendig, die Stätte seines Arbeitens aufzusuchen, um zu sehen, daß Oliberius ein Mensch beim Bauen ist; beim Aufbau seines Ateliers, beim Aufbau seines Werkes. Es war notwendig, eine längere Zeit allein auf der Wiese mit seinen Skulpturen zu sitzen, um ihre Wirkung zu erfahren, das Spiel des Lichts auf ihnen zu verfolgen, mit ihnen Zwiesprache halten zu können. Es war notwendig, einen haptischen Kontakt mit den Skulpturen aufzunehmen, wie die Gelehrten es ausdrücken würden; für mich war es schlichtweg eine sinnliche Freude des Tastsinns beim Nachvollziehen der Rundungen und Kanten. Es war notwendig, das Mühen mitzuempfinden, dem sich der Künstler unterzieht, um die letzte Einfachheit der jeder wahren Kunst innewohnenden Größe sichtbar zu machen. Und schließlich war es notwendig, die ersten Schritte auf dem Weg seiner Werke in die Zukunft miterleben zu dürfen.

Am Anbeginn seiner ihm eigenen Kunst standen bei Oliberius Spalten und Treppen, Verzah­nungen und Profile, Kanten und Rundungen. Anerkennung fordernd, aber noch einer gewis­sen Kälte verhaftet sind diese Arbeiten. Teils erinnern sie an Bruchstücke eines antiken Tem­pels, teils kommen sie dem Spiel des Menschen entgegen, der sie aus ihren Verzahnungen lösen und umsetzen kann. Es folgte die figürliche Gestaltung der Frontseite mehr oder minder qua­dratischer Säulen, mehr auf abstrakte Weise strukturiert, denn realistisch erkennbar. Das Menschliche hatte in den Skulpturen seinen Wohnsitz genommen. Ungehindert lassen einen diese Werke an Säulen und Wandgestaltungen im alten Ägypten, im Zweistromland, in China oder Mittelamerika denken.

Dann setzt seine erste „Erfindung“ ein: der Winkel. Die Figur löst sich aus ihrer Verhaftung mit ihrem bisherigen Rückgrat der Säule und tritt, nein, sie schreitet in den Raum und auf den Betrachter zu. Lediglich ihr Kopfteil bleibt noch in die stützende Säule eingebettet. Eine zweite „Erfindung" kommt hinzu: die Verdoppelung. Für Oliberius werden „König und Köni­gin“ geboren. Man könnte die jetzt entstehenden Doppelfiguren auch anders benennen, wichtig bleibt das gleichberechtigte Nebeneinander des Männlichen und Weiblichen, das allein den Fortbestand des Menschen und damit Kunst sichert. Auch das Licht kann jetzt die Figuren durchwandern und deren Wechselwirkung durchleuchten.

Zur Zeit hat eine dritte „Erfindung“ ihren Anfang genommen: das Freistellen des Kopfes. Noch sucht Oliberius nach dessen stimmiger Ausgestaltung. Er isoliert ihn, setzt ihn auf eine schlanke Stele, müht sich um Gesicht und Maske. Vollzieht sich hier der Weg hin zu einer freien Figur, zu Ungebundenheit? Jedenfalls ist es ein Weg, den die Kunst immer wieder und zu allen Zei­ten beschritten hat, ein Weg, der uns in den alten Kulturen begegnet, den wir in Gotik, Re­naissance oder Barock gleichermaßen wiederfinden. Es ist ein mystischer Weg bei der ewi­gen Suche des Menschen nach Sinn und Wahrheit. Für unsere Zeit warten wir wohl immer noch auf die Antwort der uns zeitgleichen Kunst, die an die Stelle der alles erlaubenden Will­kür eine echte und tolerante Ungebundenheit setzt. In Oliberius haben wir einen suchenden Künstler unter uns, der mühevoll und beharrlich zugleich auf diesem Weg voran schreitet. Daher ihm unser Wunsch: ad multos annos
Günter Scharwath

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